Theoretisch plausibel, aber auch wahrscheinlich?

Praxis-Depesche 6/2017

Analkarzinom als Folge einer Brachytherapie bei Prostatakarzinom?

Bei einem Patienten wurde viele Jahre nach einer Brachytherapie eines Prostatakarzinoms ein Analkarzinom diagnostiziert. Es ist naheliegend, dass über einen kausalen Zusammenhang diskutiert wurde.

Ein 74-jähriger Patient stellt sich wegen einer rezidivierenden Hämatochezie vor. Diese bestand seit Monaten. Das Blut war dem Stuhl aufgelagert, der Stuhl nicht mit Blut durchmischt und regelmäßig. Der Patient gab keine Schmerzen an. Sieben Jahre vorher war bei ihm ein Prostatakarzinom entdeckt worden. Bei fehlenden Hinweisen für eine Metastasierung wurde damals eine Brachytherapie durchgeführt.
Die klinische Untersuchung war unauffällig. Die rektale Untersuchung ergab einen größeren flachen Tumor im distalen Rektum bzw. Analkanal. Dieser Befund wurde proktoskopisch bestätigt. Bei der vollständigen Koloskopie fand sich abgesehen von einem kleinen Polypen im Coecum kein krankhafter Befund. Die histologische Befundung der im distalen Rektum entnommenen Biopsien ergab ein Plattenepithelkarzinom mit HPV-Nachweis. Somit handelte es sich um ein Analkarzinom.
Diskutiert wurde sodann die Frage, ob ein möglicher Zusammenhang zwischen der Brachytherapie und dem Analkarzinom bestehen könnte. Ausgeschlossen ist dies nicht, aber es gibt bisher auch keine Daten, die diese Vermutung stützen; denn bei der Brachytherapie handelt es sich um eine Form der Bestrahlung, die gut vertragen wird und die im Vergleich mit anderen Bestrahlungsarten auch nur ein sehr geringes Risiko hat, ein Zweitkarzinom zu induzieren. Denkbar ist aber, dass die Brachytherapie das HPV bzw. sein umgebendes Milieu so beeinflusste, dass ein onkogenes Virus entstehen konnte.
Die Standardtherapie beim Analkarzinom ist die kombinierte Strahlen-Chemotherapie. Angesichts der Vorgeschichte wurde darüber diskutiert, ob eine erneute Bestrahlung dieser Region im Hinblick auf die Strahlenschäden an den Nachbarorganen überhaupt vertretbar sei. Doch die Alternative wäre eine Operation mit Chemotherapie gewesen, was allerdings die dauerhafte Anlage eines Kolostomas erforderlich gemacht hätte, was man dem Patienten aber ersparen wollte. PS
Quelle:

Hong TS et al.: Case 39-2016: A 74-year-old man with rectal bleeding and history of prostate cancer. N Engl J Med 2016; 375: 2481-8

ICD-Codes: C61

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