Interview

Arzt-Depesche 1/2018

Die spannendsten Indikationen – Biologicum gegen Juckreiz – Tragisches beim Melanom

Arzt Depesche Dermatologie:
Welches waren aus Ihrer Sicht die größten medizinischen Fortschritte in der Dermatologie in den vergangenen zehn Jahren?
Prof. Ruzicka: Diese Frage lässt sich leicht und eindeutig beantworten – die immensen, in dem Ausmaß unerwarteten und umwälzenden Fortschritte in der Onkologie mit der Einführung zielgerichteter Therapien auf der einen sowie Immuntherapien auf der anderen Seite.
 
Welches waren die größten strukturellen bzw. gesundheitspolitischen Fortschritte?
In diesem Falle gilt: „No news is good news.“ Die Dermatologie hat sich auf ihrem erreichten Niveau stabilisiert, und es gab keine Umwälzungen, die Verschlechterung bedeutet hätten. Wichtig ist, dass sie sich in Deutschland als bettenführendes Fach behaupten konnte – der Druck auf eine Reduktion der Bettenzahl hat nicht zugenommen. Scheinbar haben Politik und Öffentlichkeit erkannt, dass Hautkrankheiten zunehmen, insbesondere Hautkrebs, und dass sich viele Hautkrankheiten sinnvoll nur im stationären Bereich behandeln lassen.
 
Welches waren die wichtigsten wissenschaftlichen Studien im vergangenen Jahr?
Spannende Entwicklungen gibt es derzeit auf drei Gebieten: 1.) Die schon erwähnte Onkologie, bei der fast schon im monatlichen Rhythmus bedeutende Studien zum metastasierten malignen Melanom, aber auch zur adjuvanten Therapie erscheinen. Der gegenwärtige Fokus liegt auf der Kombination verschiedener Therapeutika. Im Augenblick werden Studien mit zwei Kombinationen veröffentlicht, wir erwarten aber in Kürze auch die Ergebnisse von Dreifachkombinationen, von denen wir uns besonders viel versprechen. 2.) Das atopische Ekzem: Dieses hing im Vergleich zur Psoriasis um etwa zehn Jahre zurück. Dieser Rückstand wird nun aufgeholt. Konkret geht es um die Entwicklung von neuen Biologica, von denen als erstes im vorigen Jahr Dupilumab zugelassen wurde. 3.) Psoriasis: Hier gab es bereits in der Vergangenheit zahlreiche neue Biologica, die derzeit um Antikörper gegen Interleukin-17 sowie Interleukin-23 und ihre Rezeptoren bereichert werden. Das Therapieziel ist PASI90, also die Verbesserung der Beschwerden um 90%, und dies ist mit den heute verfügbaren Medikamenten realistisch. Diese neuen Optionen widerlegen das Klischee vom Dermatologen mit lediglich sehr beschränkten therapeutischen Möglichkeiten.
 
Welches war für Sie persönlich das wichtigste Studienergebnis der letzten zwölf Monate?
Wir konnten 2017 einen besonderen Publikationserfolg verzeichnen: Die Veröffentlichung einer Studie über die Wirkung des Biologicums Nemolizumab beim atopischen Ekzem (Ruzicka T et al., N Engl J Med 2017). Dies ist insofern eine Umwälzung, als es sich bei Nemolizumab, das gegen den Interleukin-31-Rezeptor gerichtet ist, um das erste Medikament zur Behandlung des Juckreizes handelt. Bisher hatten Dermatologen kein ausreichend wirksames Mittel, um Juckreiz zu bekämpfen, zumal die gebräuchlichen Antihistaminika nur über eine beschränkte Wirksamkeit verfügen.
 
Wo sehen Sie Optimierungsbedarf in Bezug auf die Abstimmung zwischen stationärer und ambulanter Therapie?
Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass hautkranke Patienten von Fachleuten, d. h. von Fachärzten, behandelt werden. Wir sehen bedauerlicherweise immer noch Patienten mit unzureichend behandelten Krankheiten wie atopisches Ekzem oder schwere Akne, die zu spät zum Hautarzt kommen. Noch tragischer sind Fälle, bei denen die Frühdiagnose des malignen Melanoms verpasst wird. Denn – so heißt ein Slogan in den amerikanischen Aufklärungskampagnen – jeder Tod an malignem Melanom ist überflüssig.
 
Bei welchen Diagnosen vergeht in Deutschland besonders viel Zeit bis zur korrekten Diagnose?
Wie erwähnt ist eine Diagnoseverzögerung oder gar eine Fehldiagnose beim malignen Melanom besonders tragisch. Ansonsten sehe ich eher die Problematik in der initial unzureichenden Therapie, bevor man den anbehandelten Patienten an den Facharzt überweist. Eine weitere häufige Problematik besteht in der Diagnostik und Behandlung von Patienten mit allergischen Erkrankungen und atopischem Ekzem mit alternativen Methoden, bei denen es sich häufig schlichtweg um Humbug und Scharlatanerie handelt.
 
In welchen dermatologischen Bereichen erwarten Sie die größten Entwicklungen in den kommenden fünf Jahren?
Die geschilderte Dynamik auf dem Gebiet der Behandlung des malignen Melanoms und anderer Hautkrebsarten wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Auch Skeptiker wie ich erwarten nun die Möglichkeit, das metastasierte maligne Melanom zu heilen. Durchbrüche erwarten wir auch auf dem Gebiet des atopischen Ekzems durch weitere Biologica.
 
Wie lässt sich die dermatologische Therapie in Zukunft noch finanzieren, wenn gezielte, molekulare Therapien immer teurer werden?
Eine teure, aber hochwirksame Therapie muss nicht zwangsläufig höhere Kosten verursachen als eine wenig wirksame, billigere Therapie. In der Vergangenheit haben wir Patienten mit Ekzemen und Psoriasis über Monate hinweg stationär mit wenig wirksamen Teer-Präparaten und anderem behandelt. Dies lässt sich heute und in Zukunft mit Systemtherapien oder kurzer stationärer Behandlung wesentlich effektiver gestalten.
 
Welche Rolle spielt für Sie die Digitalisierung im Gesundheitswesen?
Wir befinden uns in einem rapiden Transformationsprozess, der von unserer Klinik auch mitgestaltet wird. So konnte unsere Klinik als erste in einer viel beachteten Publikation über die Anwendung einer mobilen Applikation für die Früherkennung auffälliger Muttermale berichten (Maier T et al., J Eur Acad Dermatol Venerol 2015). Telemedizinische Anwendungen können gerade im Bereich der Dermatologie, eines optischen Faches, eine besonders große Rolle spielen.
 
Für welche Themen in der Dermatologie wünschen Sie sich mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit?
Aus meiner Sicht wird medizinischen Entwicklungen bei uns in den Medien eine geringere Aufmerksamkeit gewidmet als beispielsweise in angelsächsischen Ländern. US-Amerikanische Tageszeitungen berichten regelmäßig über medizinische Fortschritte auf ihren Titelseiten – in Deutschland finden sich meist nur kurze Vermerke auf den Wissenschaftsseiten. In den Massenmedien hingegen nehmen bedauerlicherweise Sensationen und Wunderheiler breiteren Raum ein als eine seriöse Berichterstattung. Außenseitermethoden erregen große Aufmerksamkeit für kurze Zeit, bis die vermeintliche Sensation von einer neuen abgelöst wird – demgegenüber wird die Schulmedizin skandalisiert. Dies gilt auch für die Dermatologie. In der Politik lässt sich mit einem kleinen Fach wie der Dermatologie wenig punkten, sodass die Belange von Hautärzten und ihren Patienten oft als nachrangig angesehen werden. Dies wird jedoch durch die hohe wissenschaftliche Kompetenz und Publikationsleistung von dermatologischen Kliniken kompensiert.
 
Das Interview führte Dr. med. Christian Bruer

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