Myeloproliferative Neoplasien

Arzt-Depesche 1/2020

Genetik hilft bei Diagnose und Therapie

Anhand der Zusammenfassung der genetischen Grundlagen von myeloproliferativen Neoplasien (MPN) wurde jetzt in einem Review gezeigt, wie hilfreich Erkenntnisse über die molekulare Pathophysiologie für das wachsende Verständnis der Heterogenität der MPN und deren klinisches Management sind.
Unter der Bezeichnung MPN wurden in der WHO (World Health Organization)-Klassifizierung von 2017 eine Reihe von malignen chronischen Bluterkrankungen der myeloischen Reihe zusammengefasst, wie die essenzielle Thrombozythämie (ET), die Polycythaemia vera (PV), die primäre Myelofibrose (PMF), die chronische myeloische Leukämie (CML), die chronische Neutrophilenleukämie (CNL), die chronische Eosinophilenleukämie. Aber auch andere, nicht klassifizierbare MPN wurden eingeordnet. In einem Review fasste man nun aktuelle Erkenntnisse zu den drei Hauptmechanismen der Pathophysiologie der MPN zusammen: den somatischen MPN-Treiber-Mutationen, den kooperierenden Treiber-Mutationen in myeloischen Genen und den weiteren genetischen Faktoren.
 
Die Treiber
Als Treiber-Mutationen wurden die Mutationen JAK2(Januskinase 2)-V617F (V617F-Aminosäurenaustausch an der Position 617 von Valin zu Phenylalanin), Mutationen im Exon 12 von JAK2, Mutationen im Thrombopoietin-Rezeptor-Gen, MPL (myoproliferative leukemia virus oncogene), Mutationen im Exon 9 des CALR(Calreticulin)-Gen und Mutationen im CSF3R(colony stimulating factor 3 receptor)-Gen zugeordnet. Am häufigsten trat die Mutation im JAK2-V617F bei PV (in 95 % der Fälle), ET (in 50 % der Fälle) und PMF (in 60 % der Fälle) auf, während die kleinen Insertionsund Deletionsmutationen im Exon 12 des JAK2 zu einem entschieden geringeren Maß – und auch nur bei PV (1 – 2 %) – meist gepaart mit JAK2V617F- Negativität nachweisbar waren. Bei der Mutation im MPL-Gen an Position W515 handelte es sich um eine Gain-of-function-Mutation, die ein zytokinunabhängiges Wachstum ermöglichte und bei 3 % der ET- und 5 % der PMF-Fälle in Erscheinung trat.
Die zweithäufigsten Mutationen bei Patienten mit MPN waren Mutationen im Exon 9 des Calretikulin- Gens, die in 20 bis 25 % der ET und 25 bis 30 % der PMF zu finden waren, sehr selten hingegen bei PV.
Die Mutation CSF3RT618I (T618I-Aminosäureaustausch an Position 618 von Threonin zu Isoleucin), die bei 80 % der CNL-Patienten nachgewiesen werden konnte, wurde als Treiber-Mutation für CNL definiert. Letzteres ermöglichte eine bessere Unterscheidung der CNL von der atypischen CML, woraufhin diese Mutation in die WHO-Klassifikation als Diagnosekriterium für CNL aufgenommen wurde.
Während in 90 % der ET und PMF eine der sich gegenseitig ausschließenden Mutationen in JAK2, CALR oder MPL nachgewiesen werden konnte, blieb die Suche nach diesen Mutationen in 10 % der ET- und 5 bis 10 % der PMF-Fälle erfolglos. In 10 % dieser Triple-negativen MPN fand man hingegen Mutationen außerhalb des Exons 10 bei MPL oder des Exon 14 bei JAK2.
 
Die Mitwirkenden
Beschrieben wurden zudem sogenannte kooperierende Treiber-Mutationen. Diese waren nicht MPN-spezifisch, sondern traten auch bei AML (akute myeloische Leukämie), beim myelodysplastischen Syndrom (MDS), aber auch bei älteren Personen ohne jeglichen Hinweis auf einen myeloischen Krebs auf. Diese Mutationen konnten auch simultan auftreten, wobei dabei die Gesamtanzahl der Mutationen invers mit dem Überleben und dem Risiko einer leukämischen Transformation korrelierte. Häufiger ließen sich solche Mutationen im fortgeschrittenen Krankheitsstadium nachweisen. Zu den kooperierenden Mutationen zählten Mutationen in Genen, die eine Rolle bei der epigenetischen Regulation, beim mRNA- Splicing (mRNA: messenger ribonucleic acid), bei der Transkription und bei der Signaltransduktion spielen. So fand man bei ungefähr 10 bis 20 % der MPN-Fälle Mutationen in TET2 (tet methylcytosine dioxygenase 2) und bei 5 bis 10 % der MPN-Mutationen in DNMT3 (DNA [deoxyribonucleic acid] methyltransferase 3). Mutationen konnten auch in den Genen ASXL1 (additional sex comb-like 1) und EZH2 (enhancer of zeste homolog 2), die bei der Methylierung von Histonen involviert sind, nachgewiesen werden. Während ASXL1-Mutationen häufiger bei PMF (in 25 % der Fälle) auftraten und mit einer schlechten Prognose sowie einer erhöhten Frequenz einer leukämischen Transformation assoziiert waren, ließen sich EZH2-Mutationen nur in 5 bis 10 % der PMFs und im Zusammenhang mit JAK2V617F Mutationen nachweisen.
Keimbahnpräwdispositionen, unterschiedliche Mutationslast sowie Unterschiede in der Reihenfolge des Auftretens von Mutationen charakteristisch für verschiedene Subtypen der MPN wurden als weitere genetische Faktoren vorgestellt, die die Heterogenität der MPN-Phänotypen erklären könnten. GH
Quelle: Jang MA et al.: Recent insights regarding the molecular basis of myeloproliferative neoplasms. Korean J Intern Med 2019; 10.3904/kjim.2019.317; doi: 10.3904/kjim.2019.317
ICD-Codes: D45 , D47.1

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