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Arzt-Depesche

Der Pathologe, dessen Entdeckung die medizinische Forschung revolutionierte

Anthony (Tony) Epstein (1921–2024), Mitentdecker des Epstein-Barr-Virus (EBV), war der Begründer der Erforschung der Rolle von Viren bei der Entstehung von Krebs beim Menschen. Heute sind sieben Arten von Virusinfektionen bekannt, die beim Menschen bestimmte Krebsarten auslösen können und von denen mehr als eine durch Impfung verhindert werden kann.

Insgesamt machen virusbedingte Tumoren jedes Jahr bis zu 15 % aller Krebsfälle weltweit aus. Als Epstein Anfang der 1960er Jahre mit seinen Forschungen begann, war die Vorstellung eines Zusammenhangs zwischen Viren und Krebs beim Menschen jedoch sehr unpopulär. Epsteins Entdeckung hatte einen enormen Einfluss auf die Ausrichtung der Krebsforschung, von den zugrunde liegenden Mechanismen bis hin zu neuen Möglichkeiten der Prävention.
Epstein wurde 1921 in London geboren und besuchte die St. Paul‘s School. Im Anschluss daran studierte er am Trinity College in Cambridge (Vereinigtes Königreich) und schloss seine medizinische Ausbildung an der Middlesex Hospital Medical School in London ab. Nach seiner Assistenzarztzeit in London und Cambridge diente er zwei Jahre im Royal Army Medical Corps. Anschließend spezialisierte er sich auf Pathologie am Bland Sutton Institute des Middlesex Hospital. Dort begann er, sich für Tumorviren zu interessieren, und begann, das Rous-Sarkom-Virus zu erforschen. Jahre zuvor hatte Peyton Rous an der Rockefeller University in New York gezeigt, dass dieses Virus bei Hühnern Krebs auslöst und dass Rous-Sarkom-Viren Krebs verursachen. 1956 verbrachte Epstein ein Jahr an der Rockefeller University und arbeitete im Labor des Zellbiologen George Palade, der Pionierarbeit bei der Verwendung der Elektronenmikroskopie zur Untersuchung der Zellstruktur leistete. Mit dieser Technik, die der Schlüssel zu seiner späteren Entdeckung des EBV war, konnte Epstein Virusinfektionen in Zellen sichtbar machen.
Als Denis Burkitt, ein wenig bekannter Chirurg vom Makerere College in Kampala, 1961 im Middlesex Hospital einen Vortrag mit dem Titel „Der häufigste Kinderkrebs im tropischen Afrika: Ein bis dahin unbekanntes Syndrom“ hielt, war Epstein fasziniert. Burkitt beschrieb nicht nur die ungewöhnliche anatomische Präsentation des Tumors, sondern auch seine geographische Beschränkung auf das äquatoriale Afrika, so dass sich Epstein fragte, ob ein Virus - möglicherweise durch einen Insektenstich übertragen - mit dem Tumor in Verbindung gebracht werden könnte. In den folgenden zwei Jahren arbeiteten die beiden eng zusammen. Burkitt schickte frische Biopsien des Tumors (später als Burkitt-Lymphom bezeichnet) in Kulturmedium per Flugzeug von Kampala nach London, damit Epstein sie untersuchen konnte. Enttäuschenderweise waren die Zellkulturtests auf bekannte Viren ausnahmslos negativ. Unter dem Elektronenmikroskop zeigten die Zellen keinerlei Anzeichen einer Infektion. Nach mehr als 20 Versuchen traf im Dezember 1963 eine Biopsieprobe spätabends, durch Nebel verzögert, auf dem Londoner Flughafen Heathrow ein. Die Flüssigkeit war ungewöhnlich trüb aufgrund frei schwebender Tumorzellen. Dieser Tumor war der erste, der in Kultur wuchs und aus dem eine Zelllinie namens EB1 hervorging; E nach Epstein und B nach seiner Forschungsassistentin Yvonne Barr. Innerhalb weniger Wochen stand eine ausreichende Anzahl von Zellen für die elektronenmikroskopische Analyse zur Verfügung. Eine der ersten Zellen enthielt herpesvirusähnliche Partikel. Epstein schickte EB1-Zellen an das virologische Labor des Kinderkrankenhauses in Philadelphia, Pennsylvania. Dort testeten Werner und Gertrude Henle sie mit menschlichen Seren, die definierte Reaktionsmuster gegen bekannte menschliche Herpesviren aufwiesen. Das Muster gegen EB1-Zellen war anders, was bewies, dass das Virus einzigartig war. Die Henles nannten es nach der Zelllinie Epstein-Barr-Virus. Es bedurfte jahrzehntelanger Arbeit in den Laboren von Epstein und vielen anderen, bis das EBV mit Sicherheit als das erste Tumorvirus des Menschen identifiziert werden konnte. Das Virus war in allen Bevölkerungsgruppen weit verbreitet. Die paradoxe Assoziation des Burkitt-Lymphoms mit Afrika wurde später erklärt: Infektionen mit Malaria begünstigten die ursächliche Rolle des EBV bei dieser Tumorart. Heute wird das Virus kausal mit mindestens sechs menschlichen Tumorarten in Verbindung gebracht, die zusammen weltweit für etwa 200.000 neue Krebsfälle pro Jahr verantwortlich sind.
Kurz nach seiner Entdeckung ging Epstein als Professor für Pathologie an die Universität Bristol im Vereinigten Königreich, wo er von seinem Kollegen Bert Achong, einem Pathologen der Middlesex University, unterstützt wurde. Dort baute er eine beispielhafte multidisziplinäre Abteilung auf, die Grundlagenforschung in Virologie, Immunologie und Onkologie mit medizinischer und veterinärpathologischer Praxis verband. Er richtete auch einen bahnbrechenden Grundkurs in Zellularpathologie mit Forschungsprojekten im letzten Studienjahr für Studierende der Naturwissenschaften, der Medizin und der Veterinärmedizin ein. Auf dieser Grundlage begannen viele erfolgreiche Forscherkarrieren. All diese Arbeiten waren ihrer Zeit weit voraus. Tony Epstein hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Er wurde 1979 zum Fellow der Royal Society gewählt, war von 1986 bis 1991 fünf Jahre lang Sekretär der Gesellschaft und wurde 1991 zum Ritter geschlagen. Doch diejenigen, die eng mit ihm zusammengearbeitet haben, erinnern sich nicht an diese eher formelle Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, sondern an einen Kollegen, der ein fesselnder Gesprächspartner war, mit einem offenen Sinn für Humor und einer meisterhaften Beherrschung der Sprache. Mit ihm Artikel zu schreiben war eine unvergessliche Erfahrung, so die Mitarbeiter. Als Forscher und Mentor zeichnete er sich vor allem durch absolute Klarheit im Denken und sein Engagement für eine langfristige Vision aus. Nirgendwo wurde seine Vision deutlicher als in den 1970er Jahren. Damals etablierte er ein Tiermodell für EBV-induzierte Lymphome bei Neuweltaffen als Testplattform für sein langfristiges Ziel, einen EBV-Impfstoff zu entwickeln. Er lebte lange genug, um diese Vision Wirklichkeit werden zu sehen. So werden derzeit mindestens zwei Kandidaten klinisch getestet.  GFI

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