Kasuistik

Arzt-Depesche

Es gibt ihn - den abskopalen Effekt

Es wird über zwei Fälle von Kieferhöhlenkrebs berichtet, bei denen nach einer Behandlung mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) und anschließender Strahlentherapie ein sogenannter abscopaler Effekt auftrat.  

Bei einem 51-jährigen Patienten wurde mittels bildgebender Verfahren (Computertomographie (CT), Positronen-Emissions-Tomographie (PET)/CT) und Biopsie ein Kieferhöhlenkarzinom, genauer gesagt ein Plattenepithelkarzinom (SCC) des Stadiums T4N0M0, diagnostiziert. Nach einer totalen Maxillektomie und zervikalen Dissektion links sowie einer maxillären Rekonstruktion mit einem Muskellappen des linken Rectus abdominis erhielt der Patient postoperativ eine simultane Chemoradiotherapie (66 Gy (2 Gy pro Fraktion, 33 Fraktionen) und Cisplatin. Drei Monate nach der Behandlung zeigte eine CT-Untersuchung jedoch Lungenmetastasen. Nachdem die folgende PD-L1 (Programmed Death-Ligand 1)-Testung der Primärläsion einen Combined Positive Score (CPS) von <1 ergab, wurde der Patient fünfmal mit dem ICI Nivolumab behandelt. Da sich jedoch die Lungenmetastasen verschlechterten und zusätzliche Metastasen im Becken auftraten und der Patient zudem unter starken Schmerzen litt, wurde eine palliative Strahlentherapie der Beckenmetastasen mit einer Gesamtdosis von 20 Gy (4 Gy - 5 Fraktionen) durchgeführt. Daraufhin trat eine rasche Verbesserung der Symptome ein. Ein CT-Scan einen Monat nach der Strahlentherapie zeigte eine deutliche Verkleinerung der Lungen- und Beckenmetastasen. Der Patient wird nun seit etwa einem Jahr mit Nivolumab behandelt und zeigt weiterhin ein partielles Ansprechen (PR) ohne Anzeichen eines erneuten Wachstums. 
Bei einem 72-jährigen Patienten wurde mittels bildgebender Verfahren und Biopsie ein Kieferhöhlenkarzinom mit Lungenmetastasen (SCC, T4aN1M1) diagnostiziert. Der Patient erhielt sechs Zyklen Erstlinien-Chemotherapie mit Cisplatin, 5-Fluorouracil und Cetuximab, gefolgt von einer Zweitlinien-Chemotherapie mit Paclitaxel und Cetuximab. Das partielle Ansprechen der Primärläsion und der Halsläsion auf diese Therapie sowie die komplette Remission der Lungenmetastasen hielten 18 Monate an, bis eine Progression des Primärtumors beobachtet wurde. Trotz eines Wechsels auf Nivolumab schritt die Erkrankung weiter voran. Eine erneute Behandlung mit Paclitaxel und Cetuximab führte zu einer Verkleinerung des Tumors und einem anhaltenden partiellen Ansprechen für etwa ein Jahr. Wiederum ein Jahr später wurde im CT trotz stabiler Halsläsionen eine Progression des Primärtumors und ein Rezidiv mit mehreren Lungenmetastasen diagnostiziert. Die Umstellung der Therapie auf Tegafur, 5-Chlor-2,4-dihydro-pyrimidin und Kaliumoxonat führte zu einer signifikanten Verkleinerung der Primärläsion im Kieferbereich, jedoch nicht zum Schrumpfen der Lungenmetastasen. Aufgrund der geringen Aggressivität der Lungenmetastasen und der Verkleinerung des Tumors wurde zur Verbesserung der Lebensqualität des Patienten eine lokale Strahlentherapie (66 Gy (2 Gy pro Fraktion - 33 Fraktionen)) im Kiefer- und Halsbereich durchgeführt. Nach der Behandlung kam es zu einer vollständigen Remission der lokalen Erkrankung und gleichzeitig zu einer Verkleinerung der Lungenmetastasen in den nicht bestrahlten Bereichen. Während einer Nachbeobachtungszeit von 20 Monaten ohne Behandlung zeigten die Primärläsion und die Halsläsion eine vollständige Remission, während die Lungenmetastasen eine partielle Remission beibehielten. 
Der abscopale Effekt ist ein seltenes Phänomen, bei dem eine lokalisierte Strahlentherapie zu einer Tumorschrumpfung in nicht gezielt behandelten Bereichen führt. Seit der Einführung von Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) hat die Zahl der Berichte über abskopale Effekte zugenommen, insbesondere in Fällen, in denen Strahlentherapie und ICI kombiniert werden. In den beiden vorgestellten Fällen wurden die Patienten mit ICI und Bestrahlung behandelt, was zur Verkleinerung der Fernmetastasen führte. Die Ergebnisse dieser Studien deuten darauf hin, dass eine Strahlentherapie vor der Verabreichung von ICI durchgeführt werden sollte, um einen abskopalen Effekt zu erzielen. Obwohl die genauen Mechanismen des abskopalen Effekts noch nicht vollständig geklärt sind, unterstreichen die vorgestellten Fälle die klinische Evidenz dessen Existenz und das Potenzial von Strahlen- und Immuntherapie als Kombinationstherapie bei metastasiertem Kopf- und Halskrebs.   GFI

Quelle: Sakai A et al.: Abscopal effect in maxillary sinus cancer: Insights from two case reports and a literature review. Cancer Rep (Hoboken). 2024 Feb;7(2):e1994. doi: 10.1002/cnr2.1994
ICD-Codes: C14.0
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